Der Name Krummbogen

Die Bezeichnung "Krummbogen" leitet sich von einem alten Flurnamen ab, der ursprünglich von der Biegung in der Lahn herrührte und das jenseitig der Altstadt gelegene Lahnufer zwischen der Furt beim heutigen Bahnhof und Weidenhausen bezeichnete1.

Urkundlich taucht der Name erstmalig 1284 als crumewach oder krumbe wag, 1565 als Kromboge auf2. Ein früher Nachweis dieser Bezeichnung ist in den Akten des Samthofgerichts enthalten, aus welchen hervorgeht, daß der Zehnte der Schenken zu Schweinsberg zu Willemannsdorf, einem wüst gefallenen Vordorf von Marburg, das etwa beim heutigen Hauptbahnhof lag, 1556, 1585 und 1587 am Krummbogen entrichtet werden mußte, der unter dem Ortenberg und Weinberg lag und an Afföller und Wächterod stieß3.

Die Entwicklung des Krummbogenwegs

Die Gegend um den Krummbogen herum wurde vor allem von Reisenden begangen. Schon die seit Mitte des 12. Jahrhunderts nachgewiesene Lahntalstraße, die als Fernstraße in etwa dem heutigen Verlauf der B3 folgt, lief hier vorbei. Später wurde der Wagenverkehr dann auf der Alten Kasseler Straße bis zum heutigen Bahnhofsplatz geführt und konnte von da aus über den sogenannten Krummbogenweg und die 1250 erstmals erwähnte Weidenhäuser Brücke über die Griende, heute "Am Grün", in die Stadt gelangen.
Bei gutem Wetter konnte auch die Furt bei der heutigen Bahnhofsbrücke überquert werden, so daß man Marburg auf dem westlichen Lahnufer erreichte.

Für Fußgänger gab es an der Furt bereits eine schmale Holzbrücke, die das Deutsche Haus für die Schafe erbaut hatte. Durch den Bau einer steinernen Hochwasserbrücke bei der Lahnregulierung 1723 und der Aufschüttung des Straßendamms für die heutige Bahnhofsstraße sollte der Verkehrsengpaß Weidenhausen entlastet werden; der Krummbogenweg wurde in der Folgezeit weniger verwendet als zuvor4.

Durch den Bau des außerhalb der Stadt gelegenen Bahnhofs 1850 , der auch im Kapitel über Stadtentwicklung behandelt wird, gewann der Krummbogenweg als Zufahrtsweg an Bedeutung, was sich auch durch die Errichtung der heutigen Bahnhofsbrücke 1867 nicht änderte. Auch die Bebauung setzte nun langsam ein; 1887 gab es bereits 16

Der Krummbogen lag bis zum Bau des Bahnhofs 1850
außerhalb der Stadt und wurde daher kaum bebaut. Noch
1902 erscheint er auf dem Foto als baumbestandene Land-
straße.
Foto: Bildarchiv Foto Marburg

Häuser. Das nah am Bahnhof gelegene Gelände gehörte z.T. der Reichsbahn; so befand sich hier seit 1887 nachweislich eine Bahnmeisterwohnung.
Noch 1956 gibt es hier verschiedene Dienstwohnungen der Bahn sowie die Bundesbahn-Verkehrs- und Betriebsämter.
1902 erscheint der Weg am Krummbogen auf einem Foto als baumbestandene Landstraße5. Er wurde nun jedoch nicht mehr als "Krummbogenweg", sondern als "Krummbogen" bezeichnet.
Dies ging zurück auf einen Beschluß des Stadtrats vom 23.11.1900, der der Modernisierung der Staßennamen dienen sollte. Das "üblich gewordene Anhängen von -straße" erschien den Bürgern wohl antiquiert und "thut" nach Meinung des Stadtrats "nicht nötig, wo es nicht historisch gewachsen ist"; daher wäre

"es ... besser zu sagen: ... Krummbogen..."6. Dadurch kam es zu einem Straßennamen, der exakt dem alten Flurnamen entspricht.

Die Umbenennung des Krummbogens in Hindenburgstraße

1920 erfolgte die Umbenennung des Krummbogens in "Hindenburgstraße". Anlaß dafür gab der bereits am 3. Januar 1915 vom Marburger Ehrenbürger Friedrich Siebert gestellte Antrag zur Benennung einer Marburger Straße nach dem damals sehr populären Feldmarschall Paul von Beneckendorff und von Hindenburg. Siebert wollte damit den "Schützer der Ostmark in dem Verteidigungskriege 1914/15"6 auch in seiner Heimatstadt ehren. Sein Vorschlag bezog sich allerdings die Schwanalle oder die Frankfurter Straße, um Hindenburg in die Nähe der "Helden von 1870/71 Bismarck und Moltke"6 zu rücken, die im Südviertel Namensgeber für zwei Straßen geworden waren.

Nachdem dieser Antrag am 1. Februar 1915 abgelehnt worden war, faßte die Stadtverordnetenversammlung am 1. Oktober 1917 den Beschluß, den Krummbogenweg in "Hindenburgstraße" umzubenennen. Die Begründung, warum gerade der Krummbogenweg diesen Namen tragen sollte, lautete: "Der Krummbogen wird als Verbindungsstraße zwischen Weidenhausen und Bahnhof in Zukunft eine grosse Bedeutung haben und, da er noch wenig bebaut ist, wir die Umlegung auf keine besonderen Schwierigkeiten stoßen."6

Die Namensgebung ist als politische Benennung zu werten und stellte neben der Ehrung des berühmten Heerführers in Hindenburg vor allem ein Bekenntnis der Namensgeber zu dem "wohl prominentesten und verehrtesten Vertreter einer konservativ-reaktionären politischen Richtung"1 dar. Daß diese politische Namensgebung in der Bevölkerung nicht gerade auf Widerspruch stieß, zeigt, daß der einzige Einwand eines Bürgers vom 8. Februar 1918 sich keinesfalls gegen die Benennung einer Straße nach Hindenburg richtet, sondern vielmehr unter Hinweiß auf das Alter des Straßennamens "Krummbogen" darum bittet, den Namen lieber an die Kasernenstraße zu vergeben.

Auch das Stadtbauamt , das in das Straßenbennenungsverfahren einbezogen werden muß, hatte zunächst Vorbehalte dagegen, den alten Flurnamen abzuschaffen, und plädierte für die Rückbenennung der Straße. Denn, so das Urteil, "es ist kaum anzunehmen, daß sich dieser [Straßenname] im Volksmund durchsetzen wird. Die Bezeichnung 'Krummbogen' ist so eigenartig und tief in der Bevölkerung eingewurzelt, daß dieselbe wohl so leicht nicht verschwinden wird." Der Gegenvorschlag: Benennung einer noch namenlosen Neubaustraße nach Hindenburg, die eigentlich "Am Jägerheim" heißen sollte.
Der Vorschlag scheiterte allerdings am Protest der Polizeiverwaltung, die der Meinung war, daß eine erneute Umbenennung "zweifellos eine Belästigung der Anwohner" sei und "die Bezeichnung ... so für alle Zeiten den guten Willen der Begründer des Platzes kennzeichnen" werde6.

Der Ausbau der Hindenburgstraße zum Hindenburgring(1936)

1936 wurde auf den Straßenzügen der Hindenburgstraße und Cappeler Straße die Umgehungsstraße vom Haupt- zum Südbahnhof ausgebaut. Diese hieß zwischen Weidenhausen und dem Stadion weiterhin Cappeler Straße, während das Nordende bis zum Hauptbahnhof, also die ehemalige Hindenburgstraße, und das neugebaute Südende bis zum Südbahnhof den Namen "Hindenburgring" erhielten.

Zwar war die Benennung nach Hindenburg nicht neu, gewann aber durch den Nationalsozialismus eine neue Dimension: Man bekannte sich zu Hindenburg, der als verdienstreicher Feldherr und konservativ-obrigkeitsstaatlicher Politiker in die NS-Ideologie paßte und der als letzte Reichspräsident der Weimarer Republik zur Machtergreifung Hitlers beigetragen hatte. Zur gleichen Zeit gab es viele politische Umbenennungen, so der Judengasse in Schloßsteig, der Biegenstraße in Straße der SA, und des Friedrich-Platzes in Adolf-Hitler-Platz

Rückbenennung in Krummbogen(1945)

Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen 1945 wurde die Benennung nach Hindenburg rückgängig gemacht, obwohl sie bereits in der Weimarer Republik geschehen war. Dabei wurde der Teil der Umgehungsstraße, der zuvor den Namen Hindenburgring getragen hatte, nun wieder zum Krummbogen. Die Gründe, die nun für die Namensänderung sprachen, waren vermutlich die selben, die im Dritten Reich dazu geführt hatten, die vergrößerte Straße erneut nach Hindenburg zu benennen: Zum einen die Vereinnahmung Hindenburgs durch Nationalisten und Militärbefürworter, zum anderen Hindenburgs Entscheidung für Hitler 1933, die ihn jetzt als einen Steigbügelhalter der Nationalsozialisten erscheinen ließ.

Antrag zur Wiederrückbenennung in Hindenburgring(1954)

Wie viele Emotionen mit dem berühmten Feldmarschall verbunden waren, zeigt sich daran, daß auch nach der Umbenennung 1945 der Name "Hindenburgring" weiterhin durch die Akten der Stadtverwaltung geisterte. So stellte 1954 die FDP-Fraktion einen Antrag an die Stadtverordnetenversammlung, den Krummbogen partiell in "Hindenburgring" zurückzubenennen. Begründet wurde der Vorschlag damit, daß sich anläßlich der Gedenkfeiern zum Todestag Hindenburgs und der Schlacht bei Tannenberg gezeigt habe, "wieviel Liebe und Ansehen Feldmarschall von Hindenburg bei den Deutschen, insbesondere den Vertriebenen Ostpreußens noch genießt."7 Es sei "eine bedauerliche Tatsache, daß die Stadt Marburg, in deren Mauern Hindenburg die letzte Ruhe gefunden hat, in der Zeit der Bilderstürmerei den Namen Hindenburg-Ring ausgemerzt hat. Dieses Unrecht wiedergutzumachen sollte eine Ehrenpflicht sein gegenüber dem Manne, der mit kleinen Soldaten seinerzeit Ostpreußen gerettet hat."7

Um die Ablehnung, die Hindenburg in der Nachkriegszeit als Militärangehöriger erfahren konnte, abzulenken, wurde geschickt vorgeschlagen, im Falle der Ablehnung die andere Hälfte der Straße in "Friedrich-Ebert-Ring" umzubenennen, um "dem geschichtlichen Wirken Hindenburgs in der Weise Rechnung tragen, daß die Namen der beiden ersten Reichspräsidenten gleichzeitig geehrt werden." 7 Damit wären dann beide als Reichspräsidenten geehrt worden, wobei der militärische Charakter Hindenburgs hinter der Demokratie zurücktreten sollte, die er als Reichspräsident zumindest formell vertreten hatte.

Diese Namensgebung schien jedoch der Stadtverwaltung nicht opportun, da die Benennung nach Hindenburg, dem "Schützer der Ostmark"7, nun eine neue Dimension als vor dem Krieg gewonnen hatte, nachdem die ehemaligen deutschen Ostgebiete nicht mehr zu Deutschland gehörten und deren Rückgabe von zahlreichen Heimatvertriebenen gewünscht oder sogar gefordert wurde. Eine Benennung nach dem von ihnen als eine Art Schutzpatrons verehrten Hindenburg hätte eine Konzession der Stadt Marburg an die ostpreußischen Flüchtlinge bedeutet, die indirekt beinhaltet hätte, daß man von Seiten der Stadtverwaltung ebenfalls die Rückgabe der Ostgebiete für wünschenswert hielt.

Die Ablehnung wurde damit begründet, daß Hindenburg, ohne daß man seine Verdienste schmälern wollte, "in einer kritischen Zeit ein Amt übernommen habe, dem er nicht gewachsen sein konnte", was zu einer tragischen Wandlung der Geschichte geführt habe7. Obwohl der Antrag abgelehnt wurde, sicherte er der FDP-Fraktion die Zustimmung vieler Ostpreußen, wie man aus Beschwerdebriefen über die Ablehnung des Antrags entnehmen kann.

Die Wilhelm-Röpke-Straß

Beim Ausbau der Universität wurden zwischen 1963 und 1967 am Krummbogen Gebäude für die geisteswissenschaftlichen Fächer und die Universitätsbibliothek erbaut. Dieser Teil der Straße wurde zwischen 1974 und 77 nach dem Marburger Ökonomieprofessor Wilhelm-Röpke-Straße umbenannt.

Durch den Ausbau der B3 zwischen 1969 und 1978 im Bereich des Hauptbahnhofs, bei dem eine neue Trasse verlegt wurde, verläuft diese teilweise auf dem früheren Hindenburgring und verdrängt dabei den Krummbogen, der vorher direkt an der Lahn lag, um einige Meter nach Osten.

Der heutige Krummbogen hat wenig gemein mit der baumbestandenen Landstraße am Lahnufer, die er noch vor knapp 100 Jahren war. Er dient vor allem als Umgehungsstraße neben der B3; außer den Wohnhäusern gibt es hier einige wenige Industriebetriebe und eine Tankstelle.

Fußnoten

Fotonachweis

Zusammengestellt von Irmgard Fliedner.


© 2005  Uhde@staff.uni-marburg.de, Stand: 21.09.1997