Der Name "der Biege" rührte von der alten Flurbezeichnung für das feuchte Wiesengelände zwischen Mühlgraben und Lahn her. Er tauchte urkundlich erstmalig 1339 als Byege und 1365 als Byge auf.
Der Biegen gehörte teilweise dem Deutschen Orden, der seit 1234 durch die Übernahme des von der Heiligen Elisabeth gegründeten Hospitals in Marburg ansässig war. In einem Hauptrechnungsbuch der Stadt Marburg von 1463 wurden die Ordensbrüder daher als die "Dutschen herrn uff dem Biegin"1 bezeichnet.
Der Ritterorden nutzte das unbebaute Land wahrscheinlich zum einen als Weideland; außerdem besaß er 1496 dort nachweislich eine Schleifmühle. Der Biegen wurde aber auch von den Marburger Bürgern zu verschiedenen Zwecken genutzt.
So spielten die Wassergänge auf dem Biegen für die Stadt eine gewisse Rolle, sie erschienen erstmals 1480 in den Ratsprotokollen, als der Rat über die Anlage eines Wassergangs dort beriet. 1486 wurde in einer Streitigkeit zwischen dem Deutschen Orden und der Stadt Marburg sowie dem hier residierenden Landgrafen von Hessen um die Nutzung eines alten Wassergang auf dem Biegen eine schiedsrichterliche Entscheidung herbeigeführt, nach der dieser "unserm
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gnedigen hern von Hessen zui siner gnaden gebruchunge und der stat Marpurg notdurfft und befestigunge gelaßen werden" 1 sollte. Daraus läßt sich schließen, daß der Wassergang zum einen der Befestigung der Stadt und zum anderen der Versorgung, wahrscheinlich zur Deckung des Wasserbedarfs, möglicherweise aber auch zum Waschen diente. Denn der Biegen wurde als nahe vor den Marburger Toren gelegenes Freiland vor allem als städtische Bleiche verwendet. Die Nutzung des feuchten Wiesengeländes als Gartenland ist seit 1546 nachweisbar, als der Marburger Professor Dr. jur. Johannes Oldendorpius wegen seiner zwei Häuser in der Wehrdagasse und seines Gartens auf dem Biegen durch den Rat der Stadt von aller Stadtpflicht befreit wurde. Dies zeigt, daß der Biegen damals noch nicht zum Stadtgebiet gehörte, das sich praktisch auf den Bereich der heutigen Altstadt beschränkte. Erst nach der Erweiterung im 19. Jahrhundert, die auch im Kapitel über Stadtentwicklung beschrieben wird, wuchs die alte Flur in die Stadt hinein. |
Wichtig für den Straßenbau wurde der von der Metzgerinnung am südlichen Rand des Biegens erbaute Schlachthof, der 1884 modern ausgestattet wurde und bereits vor dem Bau des Elektrizitätswerks am heutigen Rudolfsplatz über eine eigene Stromerzeugung verfügte, die es ermöglichte, die verschiedenen Gebäude elektrisch zu beleuchten.
Seine einzige Zufahrt war ein Feldweg, der vom Pilgrimstein an Schlachthof und Schlachthofbrücke vorbeiführte und gemeinhin als Biegengasse, Biegenweg oder auch Biegenstraße bezeichnet wurde. Die Zulieferung wurde dadurch beeinträchtigt, daß auf diesem Weg der Fuhrverkehr "mit Rücksicht auf die mangelnde Breite" 2 durch eine Polizeiordnung verboten war. Auch das Ansteigen des Verkehrs auf dem Biegenweg, die aus den gestiegenen Bevölkerungszahlen resultierte, machte eine Verbreiterung notwendig.
Durch Beschluß des Stadtrats vom 5. Dezember 1882 wurde ein Straßen- und Landfluchtplan für eine neue Straße entlang des Schlachthauses genehmigt, die den Pilgimstein mit der Rosenstraße (heutige Robert-Koch-Straße) verbinden sollte und zum größten Teil auf dem bereits bestehenden Biegenweg verlief. Der Straßenbau wurde allerdings auf Beschluß der Landespolizeibehörde vom 6. Mai 1885 bis zur Beendigung der Lahnregulierung zurückgestellt. Es stellte
sich jedoch die Notwendigkeit, im Interesse der Stadtbevölkerung unabhängig von einem Straßenfluchtlinienplan die Straße zu erweitern. Die Änderung des Straßenbilds beschrieb 1886 Landrats Gleim, der sich für die weitere Verbreiterung der Straße und die Aufhebung des Fuhrverbots einsetzte. Er führte aus, daß sich "die örtlichen Verhältnisse jener Gasse" "wesentlich geändert" hätten und sie "in ihrer alten Beschaffenheit und Breite nur noch zur Hälfte" bestehe, "ohne- wie früher- um scharfe Ecken zu gehen." 2 1888 beschloß der Stadtrat daraufhin den weiteren Ausbau des Biegenwegs; die hierzu benötigten 7m2 Bauland stellten die Anwohner und vor allem die am Wegausbau interessierte Fleischerinnung der Stadt unentgeltlich zur Verfügung. Allerdings konnte das Vorhaben erst 1896-1899 nach der Regulierung der Lahn zwischen Bahnhofsbrücke und Weidenhausen |
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Durch die Verlegung des Wirtschaftshofs durch den Besitzer des ehemaligen Deutschordensguts und den parzellenweisen Verkauf des sogenanntenBiegenackers konnten auf der Westseite des Biegens eine vierstöckige Häuserreihe erbaut werden, die allerdings die Ablehnung vieler Marburger Bürger hervorrief, die die geschlossene Bebauung als Stadtverschandelung ansahen. Diese bildeten die Grundlage für die Entstehung des Biegenviertels. Der Protest, in den dem Volksmund zufolge sogar der Kaiser einstimmte, hatte zur Folge, daß diese Bebauung nicht fortgesetzt wurde und der Block genau gegenüber der Savignystraße endet.
Daß die Biegenstraße auf einem sehr niedrig gelegenen Terrain gebaut war, zeigte sich noch einmal am 17. Januar 1918, als ein großes Hochwasser zahlreiche Keller in der Biegenstraße unter Wasser setzte.
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Die Umbenennung im Dritten Reich
Während der NS-Zeit wurde die Biegenstraße von den Nationalsozialisten vereinnahmt. Schon 1936 pflegte die NS-Prominenz bei Militärparaden auf den Treppen des 1927 errichteten Ernst-von-Hülsen-Hauses Aufstellung zu nehmen.
Die Biegenstraße Heute
Die Rückbenennung, durch die der Name "Biegenstraße" wieder auf die ganze Straße ausgeweitet wurde, erfolgte kurz nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Marburg am 28. März 1945 auf Verfügung des Oberbürgermeisters vom 30. April. Es ist als erfreulich einzustufen, daß die Straße seitdem nicht erneut |
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Zusammengestellt von Irmgard Fliedner.
© 2005 Uhde@staff.uni-marburg.de, Stand: 21.09.1997