Rechtliche Grundlagen der Straßenbenennung

Ebenso wie der Name einer Gemeinde oder einer Schule dient ein Straßenname vor allem der Orientierung. Er soll gewährleisten, daß innerhalb eines besiedelten Gebietes der gewünschte Bestimmungsort eindeutig bezeichnet und aufgesucht werden kann. Zunächst war eine Durchnummerierung der Grundstücke und Häuser als ausreichend erachtet worden. Das zunehmende Anwachsen der Städte seit dem 19. Jahrhundert erschwerte eine Überschaubarkeit der örtlichen Verhältnisse und machte eine besondere Kennzeichnung der Straßenzüge erforderlich. Zur Wahrnehmung dieser Ordnungsfunktion wurden in Hessen im Laufe der Zeit die rechtlichen Grundlagen gelegt, die nun im Folgenden näher erläutert werden sollen.

Rechtslage vor 1945

Die Benennung öffentlicher Straßen wurde erst spät amtlich vorgenommen und reglementiert. Im Mittelalter knüpfte die Bevölkerung zur Benennung einer Straße häufig an den Gebäuden an, welche die Straße oder einen Straßenabschnitt besonders prägten (z.B. Gasthäuser, Kirchen). Erst ab dem 19. Jahrhundert setzten staatliche Maßnahmen für die Benennung ein. Auch die Städte bemühten sich die Benennung der Straßen überschaubar zu gestalten. Bei der Übernahme der Straßenbezeichnung in eine amtliche Funktion wurden die vorhandenen Namen übernommen oder an die nun herrschenden Vorstellungen angepaßt.
Die damaligen Rechtsvorschriften entschieden dabei meist nur über die Zuständigkeit und Kompetenz. Entsprechend dem damaligen Polizeibegriff galt die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücken als eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und war daher Aufgabe der Ortspolizeibehörde.11
Durch die Verordnung des Reichsministers des Innern über die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücken vom 1. April 1939 (RGBl. S. 703) trat insoweit eine Änderung ein, als dazu nun der Bürgermeister für zuständig erklärt wurde. Er sollte aber vorher der Ortspolizeibehörde Gelegenheit zur Stellungnahme geben, soweit er nicht selbst deren Aufgaben wahrnahm. Die Benennung von öffentlichen Straßen innerhalb des Gemeindegebietes gehörte nun zu den Aufgaben, welche die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 den Gemeinden zur eigenen Verantwortung zuwies. Allerdings bedurfte die Straßenbenennung vorher noch der Zustimmung des Beauftragten der NSDAP. Darüberhinaus enthielt ein hierzu ergangener Runderlaß des Reichsinnenministers vom 15. Juli 1939 (RMBl. i.V. S. 1521)2 2 weitreichende inhaltliche Maßnahmen für die Namensauswahl und die Vorraussetzungen für eine Umbenennung (siehe Abschnitt über das Benennungsverfahren auf dem Land).

Rechtslage nach 1945

Nach dem Ende des Dritten Reiches wurden in allen Städten die Umbenennung von Straßen angeordnet, welche nach Nationalsozialisten oder deren Organisationen benannt worden waren. In Marburg erließ der neue Bürgermeister am 30. April 1945 eine entsprechende Verfügung33. Die Verordnung vom 1. April 1939 und der zugehörige Runderlaß galten nach 1945 zunächst weiter, solange sie nicht durch spätere landesrechtliche Bestimmungen aufgehoben wurden. Mehrere Bundesländer erließen danach eigene Vorschriften über die Straßenbenennung.
In Hessen wurde durch das "Gesetz zur Bereinigung des Landesrechts aus Reichsverkündigungsblättern" vom 31. Oktober 1972 (GVBl. I, S. 349 ff. [373]) die Teile der Verordnung von 1939 aufgehoben, welche sich auf den NSDAP-Beauftragten und die ehemalige Deutsche Gemeindeordnung von 1935 bezogen. Gemäß dem Rechtsbereinigungsgesetz blieben die übrigen Teile in Kraft und sind damit bis heute geltendes Recht.
Eine allgemeine Zuständigkeit zur Straßenbenennung läßt sich aber auch aus der in Art. 28 Abs. 2 GG verbürgten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung herleiten. Das Recht der Benennung der zum Gemeindegebiet gehörenden Straßen, Plätze und Brücken steht den Gemeinden auch als Ausfluß der ihnen laut § 2 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) vom 25. Februar 1952 (GVBl. S. 11) zugebilligten Allzuständigkeit auf dem gemeindlichen Sektor zu. Die Straßenbenennung wird dabei dem Kreis der örtlichen Angelegenheiten zugeordnet, welche die Gemeinde eigenverantwortlich wahrnehmen kann.
Die Zuständigkeit zur Namensgebung umfaßt sowohl die erstmalige Benennung, als auch die Änderung des Namens. Die gemeindliche Kompetenz bezieht sich dabei auf alle in der Gemeinde dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen. Dies gilt auch für nichtstaatliche Wege, soweit sie nicht nur vom Eigentümer benutzt werden. Die Gemeinden sind grundsätzlich verpflichtet öffentliche Straßen zu benennen.

Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Gemeinde

Die Entscheidung über die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücken obliegt der Stadtverordnetenversammlung als oberstem Beschlußorgan. Sie kann nach § 50 Abs. 1 HGO die Beschlußfassung aber auch auf andere Gemeindeorgane, insbesondere den Magistrat übertragen.
Soweit es sich um die Benennung oder Umbenennung von Straßen innerhalb eines bestimmten Stadtbezirks handelt, können auch vorhandene Bezirksvertretungen miteinbezogen werden. Die Ortsbeiräte haben nach § 82 Abs. 3 S. 1 HGO das Recht, zu allen wichtigen Angelegenheiten, die den Ortsbezirk betreffen, gehört zu werden. Anhörung bedeutet, daß dem Ortsbeirat die vorgesehene Maßnahme darzustellen und Gelegenheit zu geben ist, dazu Stellung zu nehmen. Zu diesen wichtigen Angelegenheiten gehören auch Straßenbenennungen44. Der Ortsbeirat hat ferner ein Vorschlagsrecht in allen Angelegenheiten, die den Ortsbezirk angehen (Satz 2). Er kann von sich aus Anregungen und Vorschläge zur Straßenbenennung an die Stadtverordneten oder den Magistrat richten. Die Stadtverordnetenversammlung ist aber an die Beschlüsse der Ortsbeiräte nicht gebunden.
Vor der Beratung und Beschlußfassung werden Ausschüsse oder besondere Kommissionen vorberatend tätig. Der endgültige Beschluß über den Straßennamen ist öffentlich bekannt zu geben.

Rechtliche Grundsätze

Bei der Straßenbenennung dürfen auch die Interessen der Anlieger nicht übersehen werden. Eine Umbenennung bringt wegen der Adreßänderung für Anlieger, Post und Verwaltung einige Nachteile mit sich. Auch führt der Name mit der Zeit zu einer gewissen Identifikation der Anwohner mit "ihrer" Straße, ohne daß dies allerdings bereits einen Bestandsschutz vermittelt.
Eine Anhörung der Anlieger ist in den Vorschriften nicht ausdrücklich enthalten, ließe sich aber aus § 66 HessVwVfG herleiten. Die Anwohner können sich auch mit Vorschlägen direkt an die Stadtverordneten wenden.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Anlieger läßt sich als Schutz vor einer Umbenennung nicht geltend machen, da der Straßenname zwar Bestandteil der Anschrift des Menschen ist, aber noch nicht dem geschützten Persönlichkeitsbereich angehört. Auch besteht kein eigentumsrechtlicher Schutz nach Art. 14 GG, da die Benennung der Straßen die innerörtliche Orientierung im Interesse der Allgemeinheit gewähren soll und hinnehmbar ist. Die Anwohner haben lediglich ein Recht auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung.
Der weitergeltende Runderlaß vom 15. Juli 1939 setzt der Gemeinde allerdings bei der Straßenbenennung bestimmte Grenzen und legt gewisse Auswahlkriterien fest:
Jeder Straßenname darf innerhalb einer Gemeinde nur einmal vorkommen. Dies soll eine bessere Unterscheidbarkeit der Straßen erreichen. Identische Straßennamen führen leicht zu Verwechslungen und können ihre Orientierungsfunktion nicht mehr erfüllen.
Es sind außerdem anstößige Namen zu vermeiden, die geeignet sind, die Anwohner der Straße in der Öffentlichkeit herabzusetzen und sie dem Spott oder der Lächerlichkeit auszusetzen (z.B. Irrenstraße, Dirnenweg, Diebsgasse). Gegen unmittelbar diskriminierende oder herabsetzende Namen bietet das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Schutz. Die Würde des einzelnen Menschen verbietet eine entwürdigende, demütigende oder einen Menschen sonst lächerlich machende Behandlung. Für einen Schutz nach Art. 1 und 2 GG reicht es daher aus, daß die beschriebenen Folgen eintreten können.
Mögliche Namens- und Persönlichkeitsrechte werden gewöhnlich nicht tangiert, da die betroffenen Namensträger meist schon verstorben sind. Die Benennung nach Persönlichkeiten der Orts- und Zeitgeschichte ist ein beliebtes Motiv und grundsätzlich zulässig. Unzulässig ist dagegen die Benennung nach Personen, die Ziele, Handlungen oder Wertvorstellungen verkörpern, die den Grundsätzen der Verfassung zuwiderlaufen. Schließlich kann auch an Flurnamen und andere vom Vergessen bedrohte Geländebezeichnungen oder Ereignisse und Personen der Ortsgeschichte angeknüpft werden.

Straßennamen bedürfen ebenso wie andere öffentlich-rechtliche Kennzeichen der Anpassung an veränderte Verhältnisse oder Gestaltungswünsche. Straßen umzubenennen steht daher seit jeher im Ermessen der Gemeinde. Eine Umbenennung ist in bestimmten Fällen wie der Beseitigung von Verwechslungsfällen unbedingt notwendig, wie sie meist bei Gebietsreformen auftreten.
Der Kreis grundsätzlich zulässiger Umbenennungsmotive reicht weiter von der Aufhebung irreführender oder anstößiger Namen über den Wunsch, eine Person zu ehren bis hin zu sonstigen Gestaltungszielen. Dabei ist die Entscheidung über eine Umbenennung mit den Belangen der Anlieger und dem Grad der finanziellen und tatsächlichen Anpassungsfolgen abzuwägen.

Literatur (mit weiteren Angaben):

Helmut Winkelmann, Das Recht der öffentlich-rechtlichen Namen und Bezeichnungen, Köln 1984

1 Stadtarchiv Marburg Nr. 7235, S. 159 und 183. 2 Ebenda S. 15-19 3 Ebenda S. 29 4 Kommentar zur HGO von Hans Schlempp/Dieter Schlempp, S. 241

Zusammengestellt von Cornelius Gorka



© 2005  Uhde@staff.uni-marburg.de, Stand: 21.09.1997